Part 2

Es regnete in Strömen, als Skipton von einem anstrengenden Tag aus Vandoran zurückkehrte. Einige Gespräche, die er geführt hatte, hatten ihn nachdenklich gestimmt, und so bemerkte er erst spät die abgemagerte Gestalt die, in einer Ecke seines Stalls zusammengekauert, schlief. Nachdem er Ariana angebunden hatte hockte er sich neben den jungen Mann, musterte aufmerksam sein Gesicht - es war ihm unbekannt. Der Krieger packte ihn an der Schulter und schüttelte ihn, bis er erwachte. Etwas verstört schaute der so unsanft Geweckte um sich, erkannte dann Skipton, seufzte und setzte sich im Schneidersitz vor ihn. "Was habt ihr hier zu suchen? Wer seid ihr?" fragte der Hausherr etwas barsch. Tholund seufzte. "Ihr kennt mich, Skipton. Ich bin ein alter Freund. Und wieder einmal benötige und erbitte ich eure Hilfe. Dieses Mal mehr denn je. Ich bin Morgurth." Der betrachtete ihn aus misstrauisch zusammengekniffenen Augen. "Woher kennt ihr meinen Namen, seinen Namen, und wie kommt ihr auf die Idee, uns in Zusammenhang zu bringen?" Der Kerl vor ihm, dessen Rippen man leicht zählen könnte, brummte etwas ungehalten und fuhr sich gedankenverloren über sein Kinn, als hätte er einen Bart, betrachtete ein paar Sekunden nachdenklich seine Hand und sagte dann: "Ich bin der Bärtige."

Die unbedachte Geste verhalf der alten Seele im jungen Leib vorerst zu einem Platz in dem Haus, in dem das weitere Verhör stattfand. Dort drinnen waren die beiden, nach Ansicht Skiptons, vor allzu neugierigen Lauschern sicher. So hatte der Alte, wenn auch unbewußt, doch wahrhaftig sein Interesse geweckt und nun musste Skipton erfahren, ob es denn tatsächlich sein konnte, dass Morgurth, der berüchtigte Piratenkapitän und auch einer seiner besten Freunde, noch am Leben war. Und dann in solch einer jämmerlichen Gestalt? Nach einigen Stunden jedoch, in denen der Krieger das Wort führte, bereitete dieser endlich etwas zu essen und beide setzten sich gemeinsam an den Tisch.

"Der Name allein hätte mich übrigens nicht überzeugt." sagte Skipton, leckte sich die Finger und schob seinem Gegenüber die Schüssel mit den Hähnchenkeulen zu. "Eure Art, über euern Bart zu streichen, war es, wegen der ich die Möglichkeit in Betracht zog, dass ihr es sein könntet, der vor mir saß." Tholund kaute fleissig, schluckte und antwortete dann in einem seltsamen Tonfall, der wohl von der ungewohnt hohen Stimme herrührte. "Aber sicher, sicher doch. Ich bin nur froh, dass ihr solch etwas Nahrhaftes hier hattet, alter Freund. Ich wäre verhungert, hätte ich auch nur noch einige Minuten länger warten müssen, dass sei euch versichert!" Er warf einen Knochen hinter sich gegen die Wand, fiel schmatzend über das nächste Bein her und fing sich einen äußerst missbilligenden Blick des Hausherren ein. "Ihr solltet euch für meine Anwesenheit bessere Tischmanieren angewöhnen." meinte dieser, erntete ein kaum schuldbewußtes Schulterzucken und seufzte. "Wenn ihr euer Mahl beendet habt, räumt ihr den Unrat weg. Und ihr dürft zwar das Haus verlassen sowie euch im Wald aufhalten, aber bleibt in der Nähe des Hauses. Keine Expeditionen in Städte, Dörfer oder Siedlungen. Und eure Geschichte müsst ihr mir morgen erneut erzählen, genauso haarklein. Und ich werde sie wohl noch des Öfteren hören wollen." Nickend und kauend nahm es Tholund zur Kenntnis.

Am nächsten Morgen unterhielten sich die beiden alten Freunde während des Frühstücks über die Probleme, die der Magier mit seinen arkanen Fähigkeiten in der neuen Gestalt hatte. Er war zu dem Schluss gekommen, dass er zwar die geistigen Fähigkeiten noch besaß, aber in diesem Körper erst üben müsse, ehe er seine Magie wieder effektiv einsetzen könne. Auch an seiner physischen Koordination würde er noch arbeiten müssen. Skipton war der Meinung, dass hierfür der umliegende Wald ausgezeichnet geeignet sei, da sich dort für gewöhnlich keine Menschenseele aufhielt. So begann Tholund noch am selbigen Tag damit, sich an seinen neuen Leib zu gewöhnen. Auch die nächsten Wochen lief und kletterte er viel, schnitzte und übte sich mit Skipton im Nahkampf. Später begann er dann mit einigen simplen magischen Sprüchen, doch konnte er diese Fähigkeit nur sehr langsam wieder aufbauen.

In dieser Zeit dachte er auch viel über sein bisheriges Leben nach. Schliesslich hatte er sein Ziel erreicht: Der Dolch war sein, wenn er ihn auch nicht für sich nutzen konnte. Wofür sollte er jetzt leben? Als Pirat hatte er kein anderes Ziel gehabt. Jetzt regten sich Gedanken an das Leben davor. Er war ein rechtschaffener Magier gewesen. Nicht gefürchtet, nicht sehr mächtig, nicht besonders angesehen, aber er wurde respektiert für das, was er war und das, was er tat, und er war zufrieden. Bis zu dem Tag, in dem der Dolch in sein Leben trat. Seit diesem waren sein Denken und Handeln aufgesogen von dem Ziel, es gab keine anderen Prioritäten in seinem Leben. Er seufzte. Wofür lebte er? Skipton - mit ihm sollte er vielleicht darüber reden. Doch dessen Antwort kannte der ehemalige Pirat bereits. Welchen Sinn sollte sein Leben sonst haben? Welchen sollte er ihm geben? Mehr Macht konnte er nicht mehr besitzen, zumindest wenn er sich wieder erholt hatte. Jetzt galt es, diese einzusetzen.

Als er nach einer seiner Übungen im Wald, etwa eine Meile von Skiptons Heim entfernt, unter einer alten Eiche meditierte, erschien ein Grizzly, der aus dem tieferen Wald kam. Der Magus gähnte, stand auf und betrachtete den Bär. Er liess seinen Kopf einmal kreisen, seine Nackenwirbel knackten. Das Pelzgesicht kam näher und knurrte bedrohlich. Langsam hob Tholund die Hand und liess sie wieder fallen. Puffen, Krachen und eine Rauchwolke zeugten von der unkontrollierten Entladung arkaner Energie. Der ehemalige Pirat nahm die Beine in die Hand und rannte so schnell wie schon lange nicht mehr. Niedrig hängende Äste peitschten ihm ins Gesicht, er wich Bäumen und Sträuchern aus, immer die schweren Pfoten hinter sich hörend. Auf einmal fiel der Bär zurück - vielleicht hatte er sein Revier verlassen? Als er nichts mehr hörte, schaute er, noch im Lauf, nach hinten, um sich zu vergewissern, dass er nicht mehr hinter ihm her war - ein folgenschwerer Fehler. Eine Wurzel beendete jäh seinen schnellen Lauf. Der Erdboden flog ihm entgegen, dann war Dunkelheit.

Part 3